Die Colaflasche in der Wüste

(Eine Geschichte statt eine Abhandlung)

Meine damalige Freundin Isabelle und ich verbrachten ein Jahr in Colorado den USA. Wir belegten als Gasthörer Kurse an einer Buddhistischen Universität, und wir hatten auch Zeit zum Reisen. Zweimal waren wir mit dem Auto unterwegs zwischen Colorado und Kalifornien. Wir fuhren durch kaum besiedelte, karge und wunderschöne Landschaften in New Mexico, Arizona, Utah, Nevada.

Einmal landeten wir abends in einem Motel an einem verlorenen Ort in der Wüste. Wir brachten unsere paar Sachen ins Zimmer, unser beiger Ford Kombi stand auf dem Parkplatz davor. Später kamen wir mit dem Bewohner unseres Nachbarzimmers ins Gespräch. Er erzählte unter anderem, dass er in Boulder, wo wir wohnten, einen Laden aufgebaut hatte, den wir zwar nicht kannten, von dem wir aber gehört hatten. Jetzt lebte er in diesem Motel. Wir konnten ihn nicht recht einordnen: War er ein verwahrloster Spinner? Ein Weiser in seiner Klause? War er auf der Flucht? Stimmte überhaupt, was er erzählte?

Als wir darauf zu sprechen kamen, dass wir an Kunst interessiert und neben unseren Brotjobs selbst künstlerisch tätig seien, verschwand er kurz in der Dunkelheit seines Zimmers und kam mit einem Gegenstand in den Händen zurück. Es war eine kleine Colaflasche, die rundherum mit Glasperlenarbeit in indianischen Mustern umhüllt war. Traditionelles indianisches Kunsthandwerk umgarnte diesen Archetyp von amerikanischem Business, Globalisierung und Konsum.

Diese kleine Colaflasche verzauberte mich damals. Weshalb, gilt noch heute für Kunst, die mich begeistert und berührt:
Sie war handwerklich perfekt.
Sie offenbarte sich unerwartet wie ein Juwel im Abfall.
Sie sprach ein wichtiges Thema an: die Geschichte der nordamerikanischen Ureinwohner und ihr Verhältnis zu den heutigen USA. Sie tat das zugleich ernst und verspielt.
Sie umfasste irgendwie alles: Freundschaft und Krieg, Zartheit und Schmerz, Verzweiflung und Versöhnung, Vergangenheit und Zukunft.